Zum werdenden Frühling zuog ich weiter in
Friedland richtung Balinsky, als ich nach der Überquerung eines
Berges, den die Wolkowen den »Heiligen Berg« nennen, auf
einen der Wenigen Höfe stieß, der noch nicht unter dem
Joch der Lyrer stand. Dort beherbergte man mich für eine Nacht
und ich traf am Abend eine Frau mit dem Namen Tamara
Orlovics-Schiwotnoje, welche mir folgendes erzählte.....
Nun, du fragst mich nach den Geschehnissen beim
Winterfest? Es ist einigeWochen her...
... doch sind mir die Begebenheiten an diesem warmen
Winterwochenende gut in Errinnerung geblieben. Das scheint nicht
verwunderlich, schliesslich sind Dinge passiert, die ich vorher nie
erahnt haette. Oder vielleicht doch?
Zwiespaeltige Gefuehle draengen sich mir auf, wenn
ich an diese Tage denke. So gegensaetzliche Gefuehle, dass ich kaum
weiss, welchen ich mich hingeben soll. Trauer und Wut. Freude und
Hoffnung.
Mein Mann, der Nikolas, ist verschleppt worden. Ich
liebe meinen Mann von ganzem Herzen, wir haben drei Soehne, die ihren
Vater schmerzlich vermissen und inzwischen wohl auch ihre Mutter, da
ich meine Kinder in Sicherheit bringen musste.
Kurz nachdem ich meinem Mann von dem Treffen auf der
Burg mit dem jungen Gospodinowitsch, Alexeji Radinow, berichtet hatte
und er darueber genauso aufgeregt war wie ich selbst, wir im Schein
des Fruehlingsfeuers neue Hoffnung schoepften und uns Visionen einer
besseren Zukunft hingaben, tappte er in die Falle. Wir haetten sicher
besser aufpassen muessen, doch wollten nicht die ganzen Tage ueber
staendig Fremde mit uns ueber heikle Dinge reden? Haben wir nicht
neue Freunde bei diesen vertraulichen Gespraechen gewonnen und
erkennen muessen, dass wohl mehr Leute auf der unsrigen Seite
standen, als wir je erahnt haetten? Waren wir nicht im Kreise unserer
Lieben? Die beiden Familien Orlovics und Schiwotnoje hatten sich am
Nachmittag zuvor vereinigt, und sich nicht im Gerede ueber
Sippenoberhaeupter zerstritten. Vermutlich waren wir im Freudestaumel
blind geworden, der Freude darueber, dass der tot geglaubte
Gospodinowitsch tatsaechlich lebte und vielmehr noch, dass er einen
Plan hat, der den Zusammenhalt der Wolkowen fordert und zur Freiheit
fuehren wuerde. Denn dies war auch unser Ziel und das unserer... nun,
sagen wir, Freunde.
Darueber haben wir wohl wichtige Dinge uebersehen. So
ist doch Blutgold tags zuvor auf dem Hof aufgetaucht, so viel, wie
ich selbst in der Goldmine im Sommer nicht an einem Stueck gesehen
habe. Wurde es nicht geradewegs vor unsere Fuesse geworfen?
Natuerlich haben wir es nicht beruehrt, doch das boese Omen haette
uns aufmerksam machen sollen. Nicht dass wir leichtglaeubig und naiv
gewesen waeren, wir misstrauten grundsaetzlich jedem. Dies war auch
gut so, stellte sich doch heraus, dass ein Angehoeriger unserer
eigenen Familie, ein vorher nie gesehener Koehlerssohn, ein lyrischer
Spion war. Wir liessen ihn unbehelligt, da sich die Ereignisse
ueberschlugen, doch vielleicht war er es, der die Falle fuer Nikolas
erdachte? Hingegen waren die Leute, denen ich am meisten misstraute,
zumal einer von ihnen ganz offensichtlich ein Lyrier war, diejenigen,
die dem Gospodinowitsch treu ergeben waren und ohne zu zoegern ihr
Leben fuer ihn opfern wuerden. Sie waren es, die mich zu Alexeji
fuehrten, dessen grossfuerstlichen Siegelring ich kuesste. Keine zwei
Stunden bevor Nikolas ueberfallen und entfuehrt wurde. Keine zwei
Meter vom Haus entfernt!
Oh doch, das Blutgold haette uns warnen sollen, dass
Schlimmes passieren wird! Vermutlich hielt ich die Rache der Opfer,
deren Blut mit dem Gold bezahlt wurde, fuer abgetan, als einer der
Gaeste, vermeintlich ein cerdischer Pilgerer, bei der Heiligen Messe
des Einen einen gar graeusslichen Tod starb. Der Pilgerer stand auf
der falschen Seite, bekaempfte das Gute und trat die Heiligen
Manifeste mit Fuessen. Er gehoerte zu den Maertyrern, Juengern des
Bozephalus, die schon grosses Unheil ueber das Land gebracht haben.
Ihn hat der Eyne schrecklich bestraft und ihm ein fuerchterliches
Ende bereitet. Kurz darauf verschwand sein Freund, der sich ebenfalls
als Pilgerer ausgegeben hatte. Mit ihm verschwand Juri, der den
Winter bei dem Feste spielte. Juri wurde gefunden, unten an der
Kreuzung, mit aufgeschnittenem Leib. Nur den Gebeten des Priesters
vom Orden der Bannkreuzer und der Guete des Einen ist es zu
verdanken, dass Juri trotz der schweren Verletzungen ueberlebte.
Waren diese Begebenheiten nicht Unglueck genug auf
dem kleinen Hof der Orlovics...?
Wir haben die Spuren der vierspaennigen Wagen, die
Nikolas mitnahmen verfolgt, auf den Pferden der lyrischen Ritter, die
ebenfalls auf dem Fest zu Gast waren. Die Spuren verliefen sich kurz
vor Balinsky...
Bei Balinsky wird ein Fort gebaut von den Lyriern,
weisst du? Und ich weiss, dass mit Hilfe des Gospodinowitschs sich
letztlich alles zum Guten wenden wird, nicht nur fuer meinen Mann und
meine Familie, sondern fuer ganz Wolkowien. Diese Hoffnung hege ich
und ich bitte dich, wenn du weiterziehst, erzaehle allen, dass der
Gospodinowitsch lebt und mit seinem Volk fuer sein Land kaempfen
wird. Der Winter ist vertrieben und es folgt nun das
Fruehlingserwachen!
Der Eyne sei mit dir, zu allen Zeiten.
Damit verlief unser Gespräch bei noch so einigen
Gläsern scheu.... vorzüglichem Fischlikör und wirklich
gutem Smirtz.
Bericht ins Archiv zurücklegen.
Vielen Dank an Susanne Menzel
für diesen Bericht!